„Zeitform, mit der ein verbales Geschehen oder Sein als zukünftig oder ungewiss charakterisiert wird.“ 1)
Wie sieht Malerei heutzutage und wie ihre Zukunft aus? Unter dem Titel FUTUR 1 bringt Arthur Löwen in den Räumen von Jean-Claude Maier Positionen junger Malerei zusammen. Was sie verbindet, ist ein Interesse für Wiederholung, Variation und Abfolge. Semiotisch aufgeladene Bildmotive treffen auf Beliebigkeit, Alltäglichkeit, Zufall und Abstraktion. Es ist ein Spiel mit Spezifik auf der einen und Entspezifizierung auf der anderen Seite. Die Betonung liegt dabei auf dem indexikalischen Charakter der Malerei: das Bild besitzt die Fähigkeit auf etwas Anderes außerhalb der Bildebene zu verweisen, nicht nur als Repräsentation, sondern gleichwohl als (Selbst-)Reflexivität. Die hier gezeigten Künstler*innen verstehen Malerei als einen Akt der Abformung und des Spurenhinterlassens – das, was Isabelle Graw als Prozess des „Zeichen Machens“ benennt: „Genauer werde ich vorschlagen, Malerei als eine Form der Zeichenproduktion zu begreifen, die über die besondere Fähigkeit verfügt, die Gegenwart einer (abwesenden Person) – die ihrer Schöpferin – zu suggerieren.“ 2)
veroneseveronese schlängelt sich spiegelverkehrt als nicht mehr zu entziffernder Schreibschriftzug durch das Bild. Auf der Leinwand, auf der zuvor ein gerasteter Stoff abgedrückt wurde, wird die Schrift zur Zeichnung. Im noch feuchten Zustand der letzten Farbschicht auf dem Bildträger beschreibt Arthur Löwen dessen Rückseite, was als helle Spur auf der Vorderseite erscheint. Jene abstrahierte Textspur, ein Stilmittel, das wiederkehrend in seinen Arbeiten auftritt, verweist auf etwas außerhalb des Bildraums, benennt in ihrer Verfremdung etwas Konkretes: Die Referenz auf Paolo Veronese, Meister der italienischen Spätrenaissance, bleibt im Malereidiskurs verhaftet und spielt mit Erwartungen an und Entwicklung von Malerei. Gleichfalls ist jener Akt die quasi-Aneignung einer Signatur, mit der der Maler als schöpferisches Genie ad absurdum geführt wird. Die Handschrift im Bild ist ein eindeutiger Verweis auf dessen Urheber.
In die Bildoberfläche eingeschrieben hat sich auch Toulu Hassani. Die Künstlerin zeigt ein Relief aus Polymergips, Pigment und Eisenpulver, auf dessen Rückseite sie ihre Fingerkuppen eingedrückt hat, sodass diese als Negative auf der Vorderseite erscheinen. Wie eine lose choreografierte Anordnung von Kieselsteinen wirkt dort dieser überaus personalisierte Akt des Fingerabdrucks. Toulu Hassanis Malereien aus Zeichenstift und Öl auf kariertem Untergrund oder ihre Reliefs aus Epoxidharz und Pigment sind sich stetig wiederholende Muster: engmaschige Raster und verschachtelte Labyrinthe, zwischen Op-Art und Teppichkunst. Reduziert auf ihre wesentlichen Bestandteile, haben sie jene Klarheit, die eine unendliche Ausweitung ermöglicht. Start- und Endpunkt sind nicht mehr auszumachen. Toulu Hassani arbeitet innerhalb dieses engen, selbst gesteckten Zeichensystems, welches einen komplexen Prozess ermöglicht, den sie selbst als Iteration beschreibt: das mehrfache Wiederholen gleicher oder ähnlicher Handlungen zur Annäherung an eine Lösung oder ein bestimmtes Ziel. In ihrer rhythmisierten und meditativen Form besitzen ihre Arbeiten gerade genug Variationen und Fehler um kurze Irritationen hervorzurufen. Zeitlichkeit wird zum Bild.
Seit 2014 entwickelt Fabian Herkenhoener seine Serie aus Schleif-Bildern: mit großformatigen, auf Keilrahmen gespannten Leinwänden läuft der Künstler Strecken im Außenraum ab. In diesem destruktiven Vorgang – mit der Vorderseite auf dem Boden und mit Reifen beschwert – hinterlässt der jeweilige Untergrund des Ortes seine Spuren auf dem Bildträger. Der physische Akt und die performative Geste bei der Bildproduktion sind dabei von Bedeutung. Die Schleifspuren verweisen auf eben jene bildgebenden Objekte und Kontexte, sind jedoch nunmehr flächiges Bild. Ähnlich verhält es sich mit Fabian Herkenhoeners textbasierten Arbeiten: sich überlappende, non-lineare Textfragmente und geschichtete Worte konglomerieren bis zur Unleserlichkeit auf der Leinwand und eröffnen mannigfaltige semiotische Bedeutungsebenen. Poesie wird zum Bild. Den Künstler interessieren jene (auch durch Zufall bestimmte und dadurch befreiende) Prozesse, in denen sich eindeutige Referenzsysteme in mehrdeutige, visuelle Spuren auflösen und dabei unweigerlich von der Anwesenheit eines Subjekts erzählen.
In seiner künstlerischen Praxis untersucht Maximilian Arnold Oberflächen: sowohl die der Leinwand als auch die des digitalen Screens. Die fortlaufende Werkserie „Cutouts“, aus der die gezeigte Arbeit entstammt, ist eine De- und Rekonstruktion seiner „The Forecast“-Serie von 2018. In jenen recherchebasierten Arbeiten wurde vorgefundenes Bildmaterial von Wettervorhersagen als großformatige Sublimationsdrucke ausgespielt und durch malerische Eingriffe wie Übermalung und Hervorhebung modifiziert. Die aus den Massenmedien stammenden Wetterkarten sind in den letzten Jahren zum Sinnbild für den Klimawandel geworden: Hitzerekorde und Kältewellen, Waldbrände und Polarschmelze, Orkane und Sturmfluten. Für seine neue Arbeit „Cutouts (Arrested Development)“ zerlegt Maximilian Arnold diese eindeutig konnotierten Bilder wieder, indem er sie vergrößert, fragmentiert, collagiert und mit überlagernden malerischen Gesten geradezu zensiert. Die geografischen Karten werden zu abstrakter Malereien, das Eindeutige verschwindet hinter dem Unspezifischen. Hinter der flachen Oberfläche liegt eine Tiefe, die nicht nur die Bild-, sondern auch die Bedeutungsebene betrifft – ein Modus, mit dem wir im digitalen Zeitalter eng vertraut sind.
In Hassina Taalbi Ölmalereien fusionieren ornamentale Formen, ethnologische Muster und figürliche, körperliche Darstellungen. In ihrer unerschöpflichen Varianz folgt sie keinem festen Stil. Es ist ein ständiges Ausprobieren, ein Durchdeklinieren von Stilen und Einflüssen und ein Sichnichtfestlegenwollen. Zugleich ist es das Bestreben, sich im Feld der Malerei mit einer möglichst breiten Bandbreite eine Sicherheit und Souveränität anzueignen. In der Malerei als allgemeingültige Sprache sieht sie eben jene Freiheit, in der alles gleichzeitig koexistieren kann. Mit dem idealisierten Blick auf das freie Künstlersubjekt wirkt ihre Arbeit „Freiheit“, in der direkt aus der Tube gedrückte Striche die Tage wie in einer Gefängniszelle zählen, geradezu zynisch. „Azaka“ und „Arafat“ heißen ihre Bilder – Azaka wie der haitianische Voodoo-Geist, der gute Ernte bringt und Arafat wie der palästinensische Freiheitskämpfer. Immer wieder tauchen historische, politische und kulturelle Referenzen auf, ihre Bildmotive entspringen der Mythologie, der Spiritualität und der Religion, dabei vor allem Mesopotamiens, Algeriens und der Völkergruppe der Berber. Ihre Teppichbilder entstehen in Anlehnung an die klassische algerische Handwerkskunst des Teppichknüpfens. Es ist eine spielerische, gar manische Herangehensweise an das künstlerische Medium, die geprägt ist von dem Glauben an das Wahrhaftige in der Malerei. Eine Leichtigkeit als auch eine Aggressivität liegt ihren Bildern zugrunde, die sie mit einer unfassbaren Geschwindigkeit produziert. Die Vergangenheit geht so schnell.
Die Zukunft ist ungewiss.
Die Zukunft wird sich wiederholen.
Text/ Miriam Bettin
1) Duden online, https://www.duden.de/rechtschreibung/Futur, Stand: 01.09.2019
2) Peter Geimer und Isabelle Graw, Über Malerei. Eine Diskussion, Berlin 2012, S. 20.